Den Dino mach‘ ich fertig

Am 18.03.2020 war die Welt noch in Ordnung. Es war ein schöner Tag und wir waren bei Freunden zu Besuch. Es war ziemlich warm für März, wir waren im Garten und mit dem Rad unterwegs.

Auf dem Weg nach Hause hatte ich dann starke Schmerzen in der Leiste und wir fuhren in die Notaufnahme des Klinikums, einfach nur, um mal nachschauen zu lassen. Die diensthabende Ärztin war noch jung und holte gleich den Oberarzt dazu und so fing alles an.
Sie stellten fest, dass ich einen doch schon relativ großen Tumor hatte und setzten die OP gleich für den nächsten Tag an.

Plötzlich war eine große schwarze Wand, wo vorher mein Leben war.

Das saß. Plötzlich war eine große schwarze Wand, wo vorher mein Leben war.
Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Aber gut, holen sie das Ding raus und gut ist, das kann ja nicht so schwer sein…Pustekuchen, nichts war gut.
Nachdem ich die OP überstanden hatte, durfte ich auch ziemlich bald wieder nach Hause. Ein paar Tage später bekam ich auf einmal arge Rückenschmerzen und auch ein Besuch beim Orthopäden konnte nicht helfen. Also wieder in die Notaufnahme.
Der Rückenschmerz war aber keiner, sondern eine gestaute Niere, da der Harnleiter, wegen einer Metastase, zu war. Wieder eine OP. Zwei Tage später so hieß es, dürfte ich wieder nach Hause.

Doch als ich dann von meiner Mama abgeholt werden sollte, bekamen wir nur einen Überweisungsschein für die Kinderonkologie in Schwabing in die Hand gedrückt, mit der Aufforderung, da direkt hin zu fahren. Auf der Station in Schwabing ging auf einmal alles sehr schnell. Es folgten viele Untersuchungen, eine Port-OP und die Gewebeentnahme. Gleich am nächsten Tag war das Aufklärungsgespräch, in dem die Ärzte das weitere Vorgehen besprechen wollten. Ich war zwar dabei, aber wirklich was mitbekommen habe ich nicht, ich war noch viel zu fertig von der OP.
Irgendwie war das alles total surreal und ich war mir gar nicht wirklich bewusst, was das in vollem Umfang bedeutet.

Einen Namen bekam das Mistding erst später.

Und schon ging die Chemo los, begleitet von Schmerzen, Übelkeit und Angst.
Was für einen Tumor ich genau hatte, konnte man uns da noch gar nicht sagen. Einen Namen bekam das Mistding erst später, als die Auswertung des Gewebes da war. Ein Rhabdomyosarkom…. Hört sich irgendwie wie ein Dinosaurier an und ist es wohl auch und zwar keiner von der netten Art. Ich wollte doch eigentlich in die Schule gehen, Freunde treffen und meinen Führerschein machen und jetzt lag ich hier im Krankenhaus, konnte niemanden sehen, außer meiner Mama, und wusste nicht, wie es weitergehen sollte.

Freunde, Schule, Spaß, das war alles mit einem Schlag weg.

Stattdessen bestand mein Alltag aus Medikamenten, Ärzten, Blutabnahmen und all den Nebenwirkungen der Chemo. Und das sollte für die nächsten Monate auch so bleiben.
Der 1. Block war der Schlimmste und ich dachte, ich werde das nie überstehen, aber irgendwie hangelt man sich ja dann doch da durch und kommt zum nächsten und übernächsten.
Was mich neben den Schmerzen und der Angst echt noch fertiggemacht hat, waren meine Haare, die plötzlich in Büscheln ausfielen und ich war auf einmal innerhalb weniger Tage kahl. Jetzt war ich nicht nur krank, sondern man konnte es mir auch noch ganz deutlich ansehen.
Schlimm wurde auch die Zeit, als dann noch die Bestrahlung dazu kam. Noch mehr Ärzte, Untersuchungen, Abgeschlagenheit und die Verbrennungen auf der Haut.
23 Bestrahlungen und die dazugehörigen Fahrten nach München… und auch die gingen vorbei.

Wir lebten wie Eremiten

Auf einmal war kein Frühling mehr, sondern der Sommer schon da und ich hatte nichts, wirklich nichts anderes gesehen als das Krankenhaus und unser Zuhause. Nicht mal die Familie konnte mich besuchen. Es war ja Corona und da war das Risiko einfach zu hoch, und wir lebten wie Eremiten in unserer Wohnung. Die Highlights waren, wenn wir bei schönem Wetter zu Freunden in den Garten konnten. Einfach mal woanders sein und jemand anderen sehen. Aber auch das war selten, da ich meistens zu fertig war und einfach nur in meinem Bett liegen und schlafen wollte. Innerhalb weniger Tage war meine Leistungsfähigkeit auf vielleicht 500 m geschrumpft und es gab Tage, da habe ich es nicht mal bis zur Haustüre geschafft und das, während alle anderen zum Baden, Radfahren oder auf den Berg gingen.

Ich war 17 und fühlte mich wie ein uralter Mann.

Komisch ist, wie schnell man sich aber darauf einstellt. Erst schien es so, als wäre es unmöglich zu schaffen, aber man kommt da durch. Nur all meine Pläne waren dahin. Ich war gerade in der 10. Klasse und wollte Abitur machen und jetzt hatte ich nicht mal Nerven für die paar Stunden Unterricht im Krankenhaus.Ich glaube, ich habe meine ganze Kraft und Konzentration dafür gebraucht, um durch die Chemo zu kommen.
Aber es gab auch schöne Momente und die waren besonders wichtig: die Stunden mit dem Sportteam, spielen mit Lisa, kochen für die Station, all die lieben Schwestern und Ärztinnen, die es mir um einiges leichter gemacht haben und ich habe neue Freunde gefunden, die das gleiche durchmachen und die einen deswegen auch verstehen…. Ach und die Pizza, die meine Mama mir immer am letzten Abend der Chemo bestellt hat. Ich konnte sie nicht immer bei mir behalten, aber sie war sooo… lecker, gerade, wenn man die ganze Zeit nur keimarme Kost essen darf.

Das schönste Geräusch, das ich in dem Jahr gehört habe, war das von dem Gong, den ich schlagen durfte.

Am 30.10.2020 war es dann endlich soweit. Der letzte Chemoblock war durch…ENDLICH! Und es ist so unglaublich, wie ich dahin gekommen bin. Wie schön zu wissen, dass man in ein paar Tagen nicht schon wieder ins Krankenhaus muss.
Das schönste Geräusch, das ich in dem Jahr gehört habe, war das von dem Gong, den ich schlagen durfte, als ich entlassen wurde.
Wobei ich sagen muss, die Leute von der Station vermisse ich schon, aber nur die Leute, nicht die Station selbst.

Im November 2020 hatte ich Geburtstag, meinen 18. Eigentlich wäre es eine große Feier geworden, aber das ging ja mal gar nicht, nicht nur wegen meines Immunsystems, sondern auch wegen Corona und das war ein kleiner Trost, denn alle anderen konnten ja auch nicht feiern.
Dafür hat mir meine Familie einen riesigen Wunsch erfüllt und sie haben mir heimlich einen Trabbi besorgt und vor die Tür gestellt. Ich habe mich so gefreut, auch wenn ich ihn jetzt noch nicht fahren konnte, aber er war da und gehörte mir…mein Trabbi…er heißt im übrigen Horst ?

Sobald die stationäre Zeit vorbei war, waren da auch wieder Pläne für die Zukunft. Und auch meine Haare wuchsen wieder und das fühlte sich wirklich gut an. Endlich konnte ich die Mütze, die ich das ganze Jahr getragen hatte, wieder absetzen und sah wieder ganz normal aus.

Die Schule war mir nicht mehr so wichtig. Vielmehr wollte ich gerne auf die andere Seite des Krankenhauses schauen. Das hört sich nach so einer langen Zeit, in der ich krank war, sicher seltsam an, aber so ist es. Deshalb mache ich seit September ein FSJ im Klinikum, aber nicht auf der Onkologie, das soll man nicht, da man noch zu nah dran ist. …und es macht mir wirklich Spaß! Ob dies auch meine Zukunft wird, weiß ich noch nicht, da ist immer noch der Wunsch Lokführer zu werden…

Auf jeden Fall mache ich gerade meinen Führerschein, damit ich meinen Trabbi auch bald selber fahren kann. Und ich kann wieder essen, was ich will, Freunde treffen, meine Familie besuchen und wieder die Zukunft planen.

Ich habe keinen Plan B, deshalb muss es einfach wieder gut werden.
Natürlich habe ich vor den regelmäßigen Untersuchungen noch Angst, dass da wieder was ist, aber ich denke, das ist normal und wird auch noch eine Weile so bleiben. Immer positiv denken…das hilft wirklich. Das hat mir durch das ganze letzte Jahr geholfen und hilft auch jetzt.

Wenn ihr irgendwann einen blauen Trabbi seht, dann bin ich das, der sich einfach nur über das Leben und jeden neuen Tag freut.

Euer Richard