Glück im Unglück

Medizinisches Gerät

Oder

wenn der Krebs mehrmals vorbei schaut

Wie ist das, wenn man mit 14 Jahren auf einmal damit konfrontiert wird, dass der Schmerz im Rücken sich als Rückfall von Krebs, sprich einem bösartigen Keimzelltumor entpuppt. Man wird aus seiner Welt herausgerissen. Hat nicht wirklich eine Vorstellung davon, was jetzt kommen wird .
Aber da ist auf einmal die Angst, wenn man durchs MRT, CT und die ganzen anderen Maschinen geschoben wird.

Die Chemotherapie beginnt. Das erste Mal, als ich mich übergeben muss, bin ich noch unvorbereitet, alles landet auf dem Fußboden. Bei dem einen Mal bleibt es nicht, ich kotze mir die Seele aus dem Leib, bis nur noch grüne Galle hochkommt.

Meine Haare fallen aus. ALLE – mir war gar nicht bewusst, wie anders man aussieht, wenn man nicht mal mehr Wimpern und Augenbrauen hat. Ich vermied es zunächst in den Spiegel zu sehen. Hatte Angst vor dem Anblick. Aber das reicht nicht – nein, man ist 14 und muss in eine Bettpfanne pinkeln, die dann von der Mama und der Pflege rausgetragen wird. Am schlimmsten ist es, wenn die Kraft nicht da ist, um zum Pinkeln das Bett zu verlassen. Oder man nur Angst davor hat, beim Aufstehen gleich wieder spucken zu müssen. Auf einmal ist man wieder so abhängig.

Im Nachhinein gesehen habe ich mich in dieser Zeit eingeigelt. Ging wie durch einen Nebel. Ich nahm nicht viel Anteil am Rest des Stationslebens. Mir ging’s einfach schlecht, ich war die „Kotzliesl“, die Angst davor hatte, dass ihr wieder ein neuer venöser Zugang gelegt wird, dass sie wieder gestochen wird. Einen Port wollte ich damals nicht, aus Angst vor der Narkose.

Gut, dass ich mit 14 Jahren noch nicht wusste, dass ich mit 19 meinen zweiten Rückfall haben würde. So versuchte ich mit 14 bzw. 15 Jahren nach der Behandlung so schnell wie möglich mein normales Leben wieder aufzunehmen. Was gefühlsmäßig aber teilweise gar nicht so einfach war. Na und dann mit 19, ich war gerade in der Ausbildung zur Ergotherapeutin, stieg bei den Kontrolluntersuchungen wieder ein Blutwert – das AFP.

Diesmal war ein Teil der Lunge betroffen. Ja – und wie soll man’s sagen, ich hatte mal wieder Glück im Unglück. Der Tumor war gut abgrenzbar, hatte noch nicht gestreut. Also wieder Chemotherapie inklusive dem ganzen Programm. Glücklicherweise durfte ich trotz meinem Alter wieder auf die Kinderonko. Und ich bekam wegen meinen 19 Jahren jetzt zumindest für die ersten Tage des Chemoblocks eine Tablette, mit der mir nicht so oft schlecht wurde.

Ja, und ich war auch schon ein bisschen schlauer als damals – man lernt halt dazu. Wenn man was im Magen hat und seien es auch nur ein paar Schluck Schokosojamilch kotzt es sich angenehmer. Diesmal zog ich mich tagsüber um und verließ, wenn’s mir gut ging, das Zimmer. Mir fielen wieder die Haare aus, und ich bekam einmal im Monat meine „Harpunenspritze“, um meine Eierstöcke zu schützen. Mit 19, das war auch alles andere als lustig. Es ist unangenehm, wenn man wieder in Bettpfannen pinkeln muss oder einem in der Nacht der Darm durchdreht und man es zu spät merkt. Es war mir einfach peinlich, unangenehm , zuwider. Aber es gab da auch Momente, in denen ich lachen konnte oder einfach zufrieden war.

Was damals an der Lunge eigentlich das Schlimmste war, das war die OP zwischen den Chemoblöcken. Ich hatte einfach Angst, ob alles gut geht.
Es ging alles gut. Bis auf die Schmerzen nach so einem Eingriff an der Lunge. Ich hatte es wieder geschafft und meine erste größere Entscheidung für mich
getroffen – mich gegen eine Hochdosis-Chemo zu entscheiden. Es ging in die Reha, kurz darauf sogar noch zum Skifahren mit meiner Schwester und danach machte ich meine Ausbildung weiter.

Unverhofft kommt oft, im letzten Abschnitt meines beruflichen Werdegangs hat mich mein Krebs nochmal gebissen. Diesmal im Kopf. Was soll man sagen, so viel Glück wie ich muss man erst mal haben. Wieder gut abgrenzbar und noch dazu gut operabel.

Also diesmal ein Eingriff am Schädel. Das Aufklärungsgespräch vor der OP, das war unheimlich, beängstigend – ich weiss nicht, wie ich’s beschreiben soll. Aber was blieb mir übrig? Nach der OP war’s aber viel besser als zum Beispiel nach der Lungen-OP.

Ich bin Weihnachten operiert worden und durfte Silvester mit meinen Freunden aufs Rotwandhaus gehen! Die weitere Behandlung meines Tumors im Kopf war eine Bestrahlung. Die konnte ich parallel zu meiner restlichen Ausbildung machen.

Auch dieser Schlag ging vorbei und alles war ein Zeitlang wieder gut. Ich fing an zu arbeiten, ging in die Berge und zum Klettern – verliebte mich. Da schlug er nochmal zu – mein Krebs. Mit ca. 22/23 Jahren traf es mich nochmal ungefähr an der gleichen Stelle, wie mit 14 und als Kleinkind. Neben der
Brustwirbelsäule. Und alles ist wieder da: die Angst, die Ungewissheit, Verzweiflung, Tränen.

Aber auch zum wiederholten Male: Glück im Unglück. Der Tumor ist gut abgrenzbar und es gibt eine neue Bestrahlungsart, die in meinem Fall möglich ist. Cyberknife – die angenehmste Behandlung, die ich im Zuge meiner Krebserkrankung je hatte.

Das war im Schnelldurchlauf meine Geschichte mit dem Krebs. Heute bin ich 35 Jahre und Mama von zwei aufgeweckten Jungs. Ich konnte meine Ausbildung zur Ergotherapeutin fertig machen und arbeite seit ca. 10 Jahren in der Psychiatrie.

Wenn ich von meiner Krebserkrankung erzähle und gefragt werde, wie es mir heute geht, klopfe ich immer dreimal auf Holz (ein kleiner Aberglaube).

Ja, es geht mir heute gut, und ja, ich bin insgesamt sehr gut davongekommen. Was bleibt, ist die immer mal wieder aufkommende Angst oder leichte Panik, wenn es irgendwo zwickt oder zieht, für das ich gerade keine Erklärung habe. Es macht mich nach wie vor nervös, wenn ich die Ergebnisse der letzten Kontrolluntersuchung erfrage.

Die Erinnerung und das Gefühl dabei, wie es ist, mit einem Infusionsständer verkabelt zu sein, ständig zu erbrechen, sämtliche Ausscheidungen während der Chemo zum Abwiegen und Untersuchen abgeben zu müssen, das werde ich so schnell nicht vergessen.
Aber ich habe durch den Krebs auch viele liebe Menschen kennengelernt, deren Bekanntschaft und Freundschaft ich nicht missen möchte. Freundschaften sind entstanden. Und ein Stück weit hat die Krankheit mich
wahrscheinlich auch ein bisschen zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin: ein insgesamt sehr zufriedener, glücklicher Mensch!

Danke an alle, die das möglich gemacht haben!
Marion