Was kommt da auf uns zu?

Hüpfen

Ostern 2016 – was kommt da auf uns zu?

Genau vor fünf Jahren, am Gründonnerstag 2016, brach für unsere Familie die Welt, die wir bisher kannten, zusammen – einfach so, von einem Tag auf den anderen.

Angefangen hatte alles damit, dass unsere damals 4-jährige Tochter im Laufe des Winters und Frühjahrs drei Infekte, in relativ enger Abfolge nacheinander hatte – grippaler Infekt, Mittelohrentzündung und wieder eine Erkältungsgeschichte. An sich ja erst mal nicht ungewöhnlich, war unser Kinderarzt der Meinung. Als allerdings beim nächsten Mal das Fieber über mehrere Tage nicht mehr unter 39° Celsius sank, wurden wir stutzig und auch beim Kinderarzt wurde vorgeschlagen, zur Abklärung, ein Blutbild zu machen. Ab diesem Moment, Gründonnerstag um 13.35 Uhr, ging alles Schlag auf Schlag – mit sehr schlechten Blutwerten vom Kinderarzt direkt ins Krankenhaus zur weiteren Blutuntersuchung, erfolgte noch am gleichen Nachmittag um 17 Uhr die Verlegung in die Schwabinger Kinderonkologie. Karfreitag dann die Knochenmarkspunktion mit der Diagnose AML – Akute Myeloische Leukämie, eine bösartige Erkrankung, die ihren Ausgang von unreifen Vorstufen der roten Blutkörperchen, Blutplättchen und einem Teil der weißen Blutkörperchen nimmt. Die AML ist die häufigste Form akuter Leukämien bei Erwachsenen. Bei Kindern relativ selten. Die Heilungschancen bei Kindern schätzen die Ärzte auf 60:40. Bereits am Karsamstag lief schon die erste Chemo – der Beginn des 6-monatigen Behandlungsschemas mit fünf Chemoblöcken und anschließender ambulanter Dauertherapie.

Unserer gesamten Familie zog es freilich die Erde unter den Füßen weg. Unser damals 8-jähriger Sohn kam am Gründonnerstag vom einem Hortausflug zurück und wurde vom Bus aus direkt ins Krankenhaus gebracht. Welch ein Schock. Da saßen wir nun, und wussten weder ein noch aus. Familie und Freude anzurufen und unser beider Arbeitgeber darüber zu informieren, war unglaublich schwer. Die Diagnose auszusprechen machte das Undenkbare plötzlich real. Ich stand kurz vor der Ohnmacht.

Doch gerade dieser Schritt war eigentlich die Lösung und gab uns in den kommenden, extrem belastenden Monaten, immer wieder die nötige Kraft, diesen Weg mit unserer Tochter Hand in Hand zu gehen um den Kampf zu gewinnen.

Darüber sprechen und Hilfe annehmen, das war sehr wichtig. Natürlich die Hilfe der fantastischen Ärzte und des Pflegepersonals, zu denen wir von Anfang an ein großes Vertrauen hatten aber auch die Unterstützung der Sozialpädagogen und Psychologen und der Elterninitiative/KONA, die genau wussten, was Familien und das kranke Kind in dieser Extremsituation brauchten, half uns von Tag zu Tag mit dieser Situation klar zu kommen. Ich denke hier nur an die Mutperlen für jede überstandene Untersuchung, an die Musiktherapie, an der auch manchmal unser Sohn mit teilnehmen konnte oder die Klinik-Clowns, die ein kleines Lächeln auf unser Gesicht zauberten, die stets gut gelaunten und lustigen Schwestern und Physiotherapeuten – all diese Rituale und Menschen gaben uns Kraft.
Apropos Kraft – mein Mann wuchs in diesen ersten Chaostagen über sich hinaus. Er war der Fels in der Brandung und strahlte von Anfang an Zuversicht und den Glauben an die Heilung aus. Am Tag 2 nach der Diagnose sagte er zu mir „lass uns mutig und zuversichtlich sein, niemals vor unserer Tochter weinen oder zweifeln, denn wir schaffen das“.

Nach den ersten beiden Chemoblöcken durften wir zum ersten Mal wieder nach Hause, nach sechs Wochen. In ein verändertes Zuhause, ohne Katzen (sie fanden Unterschlupf bei unseren guten Freunden), ohne Teppiche & Vorhänge, mit Desinfektionsmittel und FFP2-Masken gleich an der Haustüre. In ein Zuhause voller Zuversicht und Geborgenheit, in dem wir für den nächsten Behandlungsblock immer wieder zu Kräften kommen konnten. Besonders unsere Kleine, die Spaß mit ihrem Bruder beim Spielen hatte und im Freien auch mal Besuch von Freundinnen genießen konnte. In diesem Modus haben wir nach und nach auch die weiteren Monate geschafft und uns mit Hilfe der Sozialpädagogen, Psychologen und Helfer auf die Zeit nach der Therapie vorbereitet. Die Vorfreude auf eine gemeinsame Familien-Reha in Sylt stieg von Woche zu Woche. Und strickt nach Plan wurde Anfang Dezember der „Hicki“ entfernt und wir konnten in den hohen Norden aufbrechen. Knappes Timing, aber hat geklappt. Jetzt begannen die schönsten fünf Wochen, die man sich nur vorstellen kann. Unsere Tochter durfte dort wieder in den Kindergarten, lernte Schwimmen (das war ihr Reha-Ziel), unser Sohn ging in die Schule, fand neue Freunde und hatte zum ersten Mal wieder so richtig Spaß, ganz unbeschwert. Mein Mann und ich tankten Kraft am Strand und ließen alle Sorgen und Ängste von uns wehen. Weihnachten stand vor der Tür und wir fühlten uns alle vier wie neugeboren.

Das neue Jahr hielt weitere, unglaublich tolle Überraschungen für uns bereit. Unsere Tochter bewarb sich noch in der Kinderklinik um einen Herzenswunsch bei „Herzenswünsche e.V.“ und so kam es, dass wir gemeinsam nach Paris reisen durften, ins Disneyland, mit einem exklusiven Meet & Greet mit „Remy“, dem kleinen Koch aus dem Film „Ratatouille“. Das gleichnamige Hörspiel und den Film hatten wir in den langen Kliniknächten bestimmt 50 Mal angesehen bzw. angehört.
Aus den folgenden Monaten wurden Jahre, in denen wir bei jeder Nachsorgeuntersuchung zuversichtlicher wurden, dass alles gut wird.

Heute ist unsere Tochter fast 10, beendet die 4. Klasse und freut sich auf den Übertritt aufs Gymnasium.

Wir sind glücklich und dankbar und haben gelernt – jeden Tag zu genießen und nie den Mut zu verlieren!