Mut macht stark – Pauls Geschichte
Manchmal fordert das Leben von uns mehr, als wir je zu ertragen glaubten. Genauso fühlte es sich an, als Paul im Alter von 7 Monaten mit der extrem seltenen Diagnose „sehr schwere aplastische Anämie“ (VSAA) mit Differentialdiagnose Myelodysplastisches Syndrom (MDS) konfrontiert wurde. Die Wahrscheinlichkeit, im Säuglingsalter an idiopathischer VSAA zu erkranken liegt etwa bei 1:1,7 Millionen. Bei MDS liegen die Wahrscheinlichkeiten allerdings deutlich höher.
Pauls Behandlungsmöglichkeiten waren begrenzt. Nach einem Monat Diagnosezeitraum einigten sich die behandelnden Ärzte auf eine Behandlung gemäß VSAA-Protokoll. Das bedeutete entweder jahrelange Immunsuppressivtherapie oder eine Stammzelltransplantation mittels eines Geschwisterspenders. Und dann, nach Tagen des Bangens, der erlösende Moment, den die Eltern nie vergessen werden: Pauls knapp 3 Jahre ältere Schwester Johanna kam 100%ig als Stammzellspenderin in Frage. Paul erhielt nach 3 Monaten auf der Kinderkrebsstation, davon bereits 4 Wochen in Isolierung, die lebensrettenden Stammzellen von Johanna. Es war ein besonderer Moment. Alle auf der damaligen Station 24d freuten sich von Herzen mit uns. Und über eine tapfere Dreijährige, die von Anfang an bereit war, ihrem Bruder ohne zu zögern das Leben zu retten, auch wenn das für sie eine mehrstündige OP bedeutete.
Seine Mutter hat in dieser schweren Zeit nie aufgehört, auf ihre mütterliche Intuition zu hören und sich mit der Erkrankung vertraut zu machen. Sie fragte nach, lernte dazu und manchmal widersprach sie auch – immer mit dem Ziel, das Beste für ihr Kind zu erreichen. Paul sollte leben und unbeschwert mit seiner Schwester aufwachsen können. „Ich wollte nie die „Besserwisserin“ sein, aber ich habe gespürt, wenn etwas sich „nicht richtig“ anfühlte,“ erzählt sie rückblickend.
Zwei Beispiele verdeutlichen, wie entscheidend während der gesamten Behandlungszeit das Bauchgefühl war:
Das Stillen
Trotz des möglichen Infektionsrisikos und der Empfehlung der Ärzte, auf das Stillen zu verzichten, kämpfte die Mutter für ihr Bauchgefühl – auch im Namen der WissenschaH. Schließlich ist Stillen von Natur aus vorgesehen und unterstützt wissenschaHlich erwiesen das Immunsystem eines Kindes. „Ich wollte meinem Kind diese Nähe und Geborgenheit trotz der Diagnose geben, weil ich davon überzeugt war, dass ihn das Stillen unterstützen wird.“ Das Ärzteteam unter der Leitung von Prof. Burdach gab schließlich nach und entschied zu ihren Gunsten. Sie war damit die erste Mutter, die ihr Kind unter vollständiger Isolierung in der Hochdosischemotherapie stillen konnte. Während die Behandlung den kleinen Körper ihres Sohnes stark schwächte, zeigte sich, dass er einzig und allein das Stillen vertrug – alles andere stieß er ab. Diese Entscheidung schenkte nicht nur ihrem Sohn Kraft, sondern auch ihr selbst Trost und Zuversicht. Ein Beispiel, das anderen Müttern Mut machen soll, sich mit der Thematik vertraut zu machen, auf ihre Intuition zu hören und für ihre Überzeugungen zu kämpfen.
Der Katheter und die Not-OP
Ein weiteres Mal wurde ihre Intuition entscheidend. Pauls Hickman-Katheter, über den ihm während der gesamten Behandlung alle Medikamente und Blutprodukte verabreicht wurden, zeigte sich an der Austrittstelle deutlich entzündet. Beim täglichen Tagesklinik-Termin sprach sie die diensthabende Ärztin darauf an, mit der Bitte, einen Abstrich zu machen – aber ihre Bedenken wurden abgetan. Doch nach unbeirrtem Festhalten an ihrer Forderung wurde letztlich doch ein Abstrich gemacht – und es stellte sich heraus, dass sich im Kathetertunnel ein lebensbedrohlicher Keim eingenistet hatte. „Am Freitagabend rief man uns aufgeregt an, und bereits für Samstag in der Früh wurde eine Not-OP zur Extraktion des Katheters angesetzt und die Behandlung gestartet. Ohne meine Hartnäckigkeit hätte das ganz anders ausgehen können,“ sagt sie dankbar.
Ein Stück Heimat an einem Ort, wo man nicht sein will.
Die Familie erlebte die Höhen und Tiefen der Kinderonkologie hautnah. Für die Mutter war die Klinik trotz Allem ein Lichtblick: „Es war ein Stück Heimat, auch wenn man an diesem Ort nicht freiwillig sein will.“ Der enge Austausch mit Pflegepersonal und Ärzten, aber auch die eingeschworene GemeinschaH mit anderen Eltern und Kindern gab ihnen in dieser schweren Zeit Halt. Es gibt auf dieser Station keine Alternative zum gemeinsamen Kämpfen. Dennoch spricht sie auch offen über die Missstände: „Zu wenig Pflegepersonal für zu viele schwerkranke Kinder, besonders in den Nächten – das darf so nicht bleiben. Aber auch absolut nicht zielführende Abrechnungspauschalen, die die Klinik schwächen. Kinder werden im System nicht wirklich berücksichtigt.“ Sie schrieb Briefe zur Situation an das Qualitätsmanagement der Klinik und wurde auch hier laut – für Paul und alle anderen betroffenen Kinder. Aber auch, um das Klinikpersonal zu unterstützen.
Paul heute: Ein Junge mit großen Ideen
Heute ist Paul 13 Jahre alt und gilt als gesund. Er ist weiterhin Teilnehmer einer Studie, die sich intensiv mit der Erforschung dieser seltenen Krankheit beschäHigt.
An die schwere Zeit kann er sich nicht erinnern, doch er denkt darüber nach, wie er den Kindern helfen kann, die aktuell im Krankenhaus behandelt werden. Seine Idee: die Anschaffung von VR-Brillen, die den jungen Patienten ermöglichen, mit ihren Freunden zu spielen und in eine andere Welt einzutauchen. „Im Spiel kann man alles um sich herum vergessen, man kann eine Auszeit vom Klinikalltag haben.“ sagt er.
Seine Mutter blickt voller Dankbarkeit auf den langen Weg zurück: „Man darf sich nie entmutigen lassen. Es lohnt sich immer zu kämpfen, trotz oder gerade wegen einer schlimmen Diagnose.“ Mit ihrer Geschichte möchte sie anderen Eltern Mut machen und Hoffnung schenken. Als kleines Dankeschön für all die Unterstützung, die sie selbst erlebt haben, war die Familie heuer in ihrem niederbayerischen Heimatort am 1. Advent Gastgeberfamilie der alljährlichen Benefizaktion „Schaufling zünd’t a Kerzerl an“ und sammelte Spenden für die an der Klinik aktive „Initiative krebskranke Kinder München e.V.“.
Ein Lichtblick in dunklen Zeiten
Pauls Geschichte zeigt: Auch oder vielleicht gerade in den schwersten Momenten können Liebe, Intuition und unerschütterlicher Einsatz Berge versetzen. Sie macht Mut, nicht nur stets auf die eigene Stärke und Selbstwirksamkeit zu vertrauen, sondern erinnert auch daran, dass Hoffnung, Zuversicht und Engagement tatsächlich etwas bewirken können.