Stefan – Diagnose Rhabdomyosarkom

Elternbericht

…wie harmlos hatte alles begonnen, damals am heiligen Abend 1994, mit einer Beule im Gesicht… hätte uns damals jemand gesagt was alles noch kommen würde, wir hätten sicher nur den Kopf geschüttelt… zwischen diesem Weihnachtsabend … und dem 4.November 1997 liegen viele Tränen… eine Menge Chemotherapien, Bestrahlungen, Angst, Isolation, viele verlorene Freunde, das Gefühl ausgestoßen zu sein, Einsamkeit… aber auch… neue Freunde, Hilfsbereitschaft, unendliche Liebe, Freude, Lachen, das kennenlernen von Menschen die sich aufopfern, die DA sind, das Wissen, daß Lieben auch Gehenlassen bedeutet…

Diagnose Rhabdomyosarkom

Stefan hatte am 22.12.1994 seinen 5. Geburtstag gefeiert…
tja und dann war da am hl. Abend diese Beule in seinem Gesicht, mein erster Gedanke war, er hätte einen eitrigen Zahn…
viele Arztbesuche, Spitalsaufenthalte im LKH-Mistelbach (ganz großes Lob dorthin!!)…
und drei Wochen später, bekamen wir also die Nachricht, er hätte einen Tumor ( oh…wie lange habe ich gebraucht das Wort Tumor auszusprechen, denn es bedeutete ja Krebs), und müsse in Wien, im St.Anna Kinderkrankenhaus behandelt werden, ach was waren wir doch alle naiv zu diesem Zeitpunkt,…

Alles was ich über Krebs wußte, war aus Fernsehen und Medien, jaja die Haare würden ausgehen, und schlecht würde einem, aber dann Tumor rausschneiden und wenn alles klappte war man wieder gesund (na ja, nicht ganz soo naiv, aber fast) Wie schnell mußte ich aufwachen…

da waren wir also gelandet, und ich meldete tagelang das Telefon nicht an, denn die würden ja ganz sicher noch das Versehen bemerken, würden ihre Diagnose als Fehler einsehen, man lernt in so einer Situation das Verdrängen, man glaubt es kaum,…
und dann, plötzlich kam die Erkenntnis…
so unerwartet, wie ein Hammerschlag…
wir standen in einem Fahrstuhl, Stefan vor mir mit dem Gesicht einem Spiegel zugewandt, ich hinter ihm, sah ihn im Spiegel von vorne und zugleich von hinten, sah die „Beule“ zum ersten mal ganz bewußt, ohne zu verdrängen und es wurde mir heiß wie noch nie zuvor, noch heute kann ich die Gänsehaut, Hitze und Kälte spüren….
ich sah plötzlich ganz bewußt wie verzerrt sein Gesicht war, zum ersten Mal sah ich auch, was die Mutterliebe mich zuvor nicht so sehen ließ, die Gesichtslähmung, der Mund verzogen, am schlimmsten beim Lachen…
wie blind kann man als Mutter doch sein..?

Ich will hier nicht eine Abhandlung über Therapien und Medikamente machen, deshalb erwähne ich dieses Thema hier kaum. …
nach einigen Wochen wurde mir jedenfalls schnell klar das die ausfallenden Haare wohl das allerkleinste Problem waren…
Erbrechen, wie ich es vorher nie gekannt habe, Durchfall den ich nie für möglich hielt, Wesensveränderungen, ich erkannte mein eigenes Kind kaum wieder, offene Schleimhäute, Hautveränderungen, …
ich denke heute noch daran wie das Gefühl war, als ich zum ersten mal zusah, wie Stefan eine Magensonde gesetzt wurde.. dieser Schlauch durch seine kleine Nase, in den Magen hinunter gelegt , durch den er danach gefüttert wurde…
aber auch sein trockener Kommentar als wir zum ersten mal heimkehrten mit Sonde, und eine ältere Frau ihn fragte ob er denn nun durch diesen Schlauch atmen würde…
er sagte grinsend dazu : ja deshalb ist er ja auch zugestoppelt!! …
natürlich gab es Zeiten in denen Stefan Höllenqualen litt, er Schmerzen hatte, brüllte, es nicht mehr aushielt eingesperrt zu sein, denn die Isolation machte uns enorm zu schaffen / man muß sich mal vorstellen in einem Krankenzimmer und sei es noch so nett ausgestattet … Tage Wochen zu verbringen, ohne daß der Patient es mal verlassen kann…
oder selbst wenn er daheim war, wegen der Infektionsgefahr nicht hinauszudürfen, nicht mit anderen Kindern spielen zu können, nicht dazuzugehören…
..oft habe ich Bücher gelesen über andere Betroffenen und habe sie – auf Wunsch- auch Stefan vorgelesen…
er machte immer große Augen, meinte, wie traurig es doch wäre das in diesen Büchern immer nur die Medikamente und Therapien genauestens beschrieben wären….
und das Leid, der Schmerz ….
er sagte dann nur …
haben diese Kinder NIE gefeiert?? Nie gelacht?? nicht auch so herrliche Tanten zum spielen? Keine Spitalslehrerin ? keine glücklichen Momente — gehabt??? …
ja selbst in der schlimmsten Zeit haben wir gelacht, spürten wie nahe uns andere waren, damals wußten wir genau, wohin wir gehören…
denn sowohl das Personal vom St.Anna, als auch des Ronald Mc.Donald Hauses (Elternwohnheim) gaben uns das Gefühl, geborgen zu sein, soweit dies möglich war…

WIR WAREN NIEMALS NUMMERN…

wir waren kreativ, lernten unter der Anleitung der ganz und gar einmaligen Tante C. Seidentücher zu malen, Fimoschmuck zu machen, es wurde alles, was man sich nur vorstellen kann gefeiert…
und wenns nur EIN positives Untesuchungsergebnis war…
…die anderen Eltern und Kinder waren auf einmal Familienmitglieder, man war sich menschlich so nahe, konnte mitfühlen, weil man im Herzen genauso oder ähnlich fühlte…
und man lernte zu genießen was man hatte; mag sein, andere wollten auf die Malediven – für uns war der erlaubte Ausflug auf den Dachgarten ebenso herrlich.
..es war meist nicht leicht für uns / aber auch nicht mit uns *gg* ….

der Zorn…

..damit meine ich nicht den Zorn auf die Krankheit (obwohl der manchmal übermächtig sein kann) sondern auf das „drumherum“…
..auf die lieben Mitmenschen, die so entzückende Aussagen machten, ohne nachzudenken, ich weiß schon bei vielen ist es Unsicherheit gewesen oder schlicht Angst, doch manches …
..na ja….

Dieses Kretin darf hier nicht spielen

Stefan hatte eine Krankheit die man deutlich sah, schon richtig, sein Gesichtchen war schief, er lachte verzerrt, doch rechtfertigt dies …
angespuckt zu werden …
beschimpft, getreten ? …

Wir hörten allen Ernstes solche Nettigkeiten wie:
Dieses Kretin darf hier nicht spielen, mein Kind fürchtet sich vor diesem Monster…
oder: Den hat der Hitler vergessen…
warum lassen`s den denn nicht einschläfern…
keine Lebensberechtigung….

Ich habe Stefan anfangs gesagt: weißt du, jemand der einmal starrt kennt eben so ein krankes Kind nicht, ein zweites mal..
na ja Neugierde/Mitleid, aber jemand der 5x starrt, ist einfach dumm und nimms halt nicht ernst; nicht einmal hat er dann zu jemanden gesagt : ach arm, du bist also dumm oder hast du mich noch nicht genug gesehen? Er hat auch manchmal an sich herutergesehen und gefragt: Bin ich schmutzig oder was? Ja, krebskranke Kinder sind nicht immer schön anzusehen, vielleicht auch von Medikamenten und Therapien gezeichnet, tragen zur eigenen Sicherheit vielleicht eine Gesichtsmaske…
.. doch sie spüren, fühlen vielleicht sogar noch mehr als andere, die Feindseligkeit, die Bosheit, sie wissen meist, daß viele einfach nur Angst haben (denn das sieht man nur im Fernsehen normalerweise .. nicht wahr?)..
doch sie empfinden die Liebe oder Hilfsbereitschaft doppelt, die ihnen entgegengebracht wird….
niemand erwartet Wunder…
aber…
wenn diese Zeilen bewirken, das nur ein einziges Kind, wie mein Kleiner – der sich seines Aussehens voll bewußt war – NICHT angestarrt wird …dann hab ich was erreicht….
..vielleicht zum Nachdenken?
…das Ende, nach all den Therapien…
Bestrahlungen…
Stammzellenrückführungen…
und tausend anderen Dingen am Ende der Behandlungen, hatte Stefan genug, absolut genug! Er ließ sich von mir und den Ärzten versprechen, ihn, egal was noch kommen sollte, zu nichts mehr zu überreden oder zu zwingen…
ihn nur noch in Ruhe zu lassen, er meinte, solle all das nichts geholfen haben, glaube er nicht mehr daran (leider hat er bei den letzten Behandlungen oft den Mut und Glauben verloren gesund zu werden) …
und dann wäre es nur sein Wunsch, in Würde und ohne weitere Behandlungen (er meinte, vor allem keine Nadeln und Schläuche mehr) gehen zu dürfen…
die behandelnden Ärzte und auch ich versprachen das…
wobei ich zu dem Zeitpunkt noch hoffte (zumindest für einige Jahre Aufschub)..

Im Juli 1997 erfuhren wir definitiv, daß wir den Kampf verloren haben…

es gab (ganz abgesehen von Stefans Wunsch) keinerlei Hoffnung oder Chancen mehr…
es war soweit… man konnte uns nicht sagen wieviel Zeit wir noch hätten…
vielleicht 8 Wochen …
mag sein etwas mehr…
mag sein weniger..!

Es mag seltsam klingen, aber für Stefan war die folgende Zeit aufregend, spannend, arbeitsreich..
er hatte soo viel zu tun…
alles, was er besaß, wurde aufgelistet…
er erklärte genauestens, wem er was vermachen wollte, mit welchen Worten ich es dann später zu überbringen habe! Stefan verfügte ganz genau wie seine Verabschiedung zu sein hat…. wer sollte sprechen, worüber, welche Musik sollte wann zu hören sein…
(das Lied das auf Stefans Seiten zu hören ist.. An Angel hörten wir bei seiner Verabschiedung, als der Sarg versank)

Wir haben in den folgenden Wochen äußerst exzessiv gelebt, Stefans Liste was „man unbedingt im Leben gemacht haben muß“ war lang, und wir wußten nie ob uns der nächste Tag noch vergönnt sein würde…
Schwimmen, Bootfahren, Angeln, Geisterbahn, nachts an einem Ziegelteich baden,
…. Die Zeit lief uns davon, es war noch so viel zu sagen, zu unternehmen, zu spüren…
Ende des Sommers kamen die Schmerzen…

Morphium/Cortison …

( ein ganz großes Lob an alle Menschen im St.Anna / Ronald McDonald-Haus / Kinderkebshilfe !!!) man hat bis zur letzten Sekunde Stefans Wunsch erfüllt, er bekam ab Juli keine einzige Spritze, keinen Katheder, keine Maßnahmen wurden gegen seinen Willen gesetzt und ich weiß, er hat so manche damit zum langen Nachdenken und fast Verzweifeln gebracht !) bis Ende September waren wir noch täglich unterwegs bzw. durfte Stefan stundenweise im Ronald Mc.Donald-Haus mit seiner heißgeliebten Tante C. (Kindergartentante auf der Station 2A.. alleine sie hätte mindestens einen Orden verdient !!!) und den geliebten Menschen dort verbringen ( noch einmal DANKE !) …
Ende September landeten wir dann auf der Station…
die Lungenmetastasen machten zu schaffen…
Stefan entschied, an diesem Ort (wo er immer geliebt und verstanden war, ihn niemals jemand wegen seinem Aussehen verabscheut hatte, er sich nie verstecken mußte) zu bleiben bis es soweit war….
Diese 5 Wochen kann man unmöglich beschreiben….
jeden Abend vor dem Schlafen schlüpfte Stefan in mein Bett um mich auf Vorrat zu spüren, wie er sagte und auch, damit ich das Gefühl, ihn zu spüren, nicht zu schnell vergessen würde…
(ach Stefan, wie könnte ich…)

DER KÖRPER KANN STERBEN, ABER

Immer wieder, wenn ich weinte, meinte Stefan: aber Mama, du weißt doch DER KÖRPER KANN STERBEN, ABER DIE LIEBE BLEIBT..
und so ist es ja auch….
ich war bei Stefan, der noch bis 4. November durchhielt, der bis zum letzten Augenblick den Kopf hochhielt, er ging mit Würde, ohne Schlauch, ohne Nadeln…
bis zum letzten Tag ließ er sich sogar zur Toilette tragen, denn er ging hocherhobenen Hauptes, mit der Würde, und mit dem Respekt aller Beteiligten denke ich…..

Stefan hat sich zuletzt sehr auf den Tod gefreut, und hat gemeint, für Ihn würde es ja nicht lange dauern bis zum Wiedersehen….
und er ging erfreut und mit einem Lächeln…
nie werde ich das glückliche Gesichtchen (und hier im Tode wieder ebenmäßig..) vergessen, als es soweit war !

Ich bin stolz darauf SEINE Mutter zu sein.

Claudia